... fängt klein an. Aber es könnte den Kabel- und Satellitenbetreibern das Geschäft künftig streitig machen Von
Von Güven Purtul
Ganz Neugierige konntenZukunft des Fernsehens bestaunen. Präsentiert wurden in der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) keineswegs nur Visionen, sondern handfeste Geräte. Die Hersteller zeigten Decoder, auch Set-Top- Boxen genannt, mit denen digitales Fernsehen über die gute alte Antenne empfangen werden kann. In Berlin startet es am 1. November. Später wird es auch im Rest der Republik eingeführt. Die neue Technik könnte zu einer ernsten Bedrohung für Anbieter von Kabel- und Satellitenanschlüssen werden.
Der Andrang um die Stände mit den kleinen Stabantennen und den großen Bildschirmen wäre allerdings größer gewesen, hätte man die Berliner besser informiert. Nicht mal die Sender SFB und ORB hatten darauf hingewiesen. Man wolle die Pferde nicht zu früh scheu machen, hieß es. Dabei macht die Hauptstadt jetzt Ernst mit der Umstellung auf DVB-T, so das Kürzel für die moderne TV-Technik. Wegen knapper Frequenzen muss dafür das analoge Signal abgeschaltet werden. Ende Februar verschwinden zunächst private Sender aus dem Äther, später auch die öffentlich-rechtlichen. Vom Sommer 2003 an bleibt in den etwa 150 000 Berliner Haushalten, die Fernsehen noch per Zimmer- oder Hausantenne empfangen, die Mattscheibe schwarz - sofern sie sich keinen DVB- T-Decoder angeschafft haben.
"Eine revolutionäre Technologie macht das Fernsehen schöner und abwechslungsreicher", verspricht die Werbung. Tatsächlich bietet das neue Antennenfernsehen mehr, da auf einen analogen Kanal vier digitale Programme passen. Es gibt kleine Empfänger für den mobilen Empfang und Decoder mit Kartenschacht, die sogar den Empfang von Pay-TV per Antenne ermöglichen sollen. "Premiere hat bereits Interesse an einem eigenen DVBT-Bouquet angemeldet", sagt Sascha Bakarinov von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB).
Zunächst noch ein teurer Spaß
Auch Decoder mit integrierter Festplatte, beim digitalen Satellitenempfang längst üblich, soll es bald für das neue terrestrische Angebot geben. Damit wird die Box zum digitalen Videorekorder, mit dem man zeitversetzt Fernsehen und dabei zum Beispiel die Werbung aussparen kann. Das neue "Überall-Fernsehen" soll auch Multimediadienste für den mobilen Empfang ermöglichen, teilweise mit Rückkanal über die Mobilfunknetze. Ungestörter TV-Empfang im fahrenden Auto oder Zug wird ebenfalls versprochen. Sogar digitaler Radioempfang via Antenne könnte endlich den Durchbruch schaffen.
Gute Aussichten also für die terrestrische Übertragung, die bisher aufgrund weniger und teilweise schlecht empfangbarer Programme eine schrumpfende Nische ausfüllte. Doch vor der "Renaissance der Terrestrik" muss sich das moderne Antennen-TV in Berlin bewähren. Knackpunkt sind die Empfangsgeräte, welche auch in der IHK zu sehen waren: Decoder, also kleine Kästchen, die per Scart-Kabel mit dem Fernseher verbunden werden. Daneben gibt es Nachrüstplatinen für jüngere TV-Geräte beim Fachhändler, der sie auch gleich einbauen kann. Und für das Auto oder Campingmobil eignen sich mobile Empfänger.
Nicht alles, was in Berlin zu Preisen von etwa 200 Euro ab gezeigt wurde, ist bereits wirklich ausgereift. Während ein Aussteller über die hervorragende Bildqualität des digitalen Empfangs räsonierte, verwandelte sich das Bild plötzlich in ein Puzzle, weil ein Handy klingelte. "Die Klötzchen bilden sich nur, weil die Signale bisher mit geringer Sendeleistung kommen", beeilte sich der Mann mit der Fernbedienung zu betonen. Schuld war wohl eher eine mangelnde Abschirmung des Gerätes, zumal vor der IHK ein Antennenwagen der Post stand, damit das Signal trotz Testbetriebs in ausreichender Stärke ankommt. Ein anderer Aussteller hatte Mühe, die elektronische Programmzeitschrift, ein weiteres Bonbon von DVB-T, auf die Mattscheibe zu holen. "Das dauert manchmal ein bisschen, bis die Box sich das herunterlädt", erklärte er.
Mitarbeiter der Rundfunkbetriebstechnik GmbH (RBT) in Nürnberg, einer Gemeinschaftseinrichtung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, testen die Decoder seit Monaten. Sie berichten noch von "Software-Abstürzen" und einer teilweise "recht komplizierten Inbetriebnahme" bei Geräten der ersten Generation. Das Problem: Wie Computer benötigen Decoder eine Software, um die digitalen Signale für den analogen Fernseher verdaulich zu machen, und die scheint noch nicht immer fehlerfrei. So werden die Berliner Fernsehzuschauer die Versuchskaninchen für die neue Technik sein. Die Hauptstadt ist Testfeld für die Digitalisierung des Fernsehens.
Viele dürften mit Unmut reagieren, wenn sie erfahren, dass sie einen Decoder kaufen müssen, um weiter Fernsehen zu können. Vor allem weniger gut Betuchte. "200 Euro sind eindeutig zu viel für jemanden, der Sozialhilfe bekommt", sagt Hans Hege, Leiter der MABB. Deshalb habe man eine sozial verträgliche Lösung vereinbart: Anspruchsberechtigten wird ein Decoder finanziert. "Die Kosten trägt zu drei Vierteln die MABB und zu einem Viertel die Berliner Sozialbehörde", so Hege. Abgewickelt wird die Unterstützung durch die Rundfunkhilfe. Gering- oder Durchschnittsverdienern hilft das nicht. Für sie wird die Umstellung vor allem dann zum teuren Spaß, wenn sie mehrere TV-Geräte besitzen. Denn für jedes wird ein eigener Decoder fällig.
Trotz aller Probleme beim Start könnte die neue Technik zu einer Erfolgsgeschichte werden. Denn sie bietet 24 bis 36 Programme - ohne zusätzliche Kosten. Im Vergleich zum Satellitenempfang ist das zwar bescheiden, doch nicht jeder hat die Möglichkeit, eine Schüssel zu montieren. Und der Sat-Empfang hat auch Nachteile, wie nicht zuletzt die Fußballweltmeisterschaft 2002 gezeigt hat: Etwa drei Millionen Zuschauer mit einer digitalen Satellitenbox schauten in die Röhre und konnten die WM-Spiele auf ARD und ZDF nicht sehen. Inhaber Kirch hatte die Rechte exklusiv an Pay- TV-Sender in Polen und Spanien verkauft. Da dort auch das per Satellit ausgestrahlte Programm von ARD und ZDF zu empfangen ist, bestand Kirch vertraglich auf Verschlüsselung.
Weitere Konflikte sind nach dem spektakulären Verkauf attraktiver Sportrechte programmiert. Auch die neuen Besitzer werden sie exklusiv in mehreren Ländern vermarkten müssen, um die hohen Kosten wieder hereinzuholen. Deshalb könnte die Verschlüsselung der Satellitenausstrahlung erneut auf der Tagesordnung stehen. Anders als bei DVB-T, denn die Sender strahlen nicht ins Ausland.
Vom neuen Antennen-TV können auch Zuschauer profitieren, die ihr Programm bisher per Kabel empfangen und dafür monatlich hohe Gebühren zahlen. Ein Decoder kann sich da schnell rentieren, zumal beim Kabel ständig Preiserhöhungen drohen. Erst kürzlich erhöhte die Telekom den Tarif für Endverbraucher um sechs Prozent. Noch schlimmer erging es Kabelnutzern in Nordrhein-Westfalen, wo die Telekom ihre TV-Kabel bereits verkaufen konnte. Die neuen Betreiber mit dem Fantasienamen Ish sorgten im Zuge der Aufrüstung des Kabels für Chaos: Zuschauer ärgerten sich über Bildstörungen und den plumpen Versuch von Ish, langfristige Verträge abzuschließen. Fest steht: Wenn neue Betreiber das Kabel aufrüsten, kommen auf den Konsumenten Mehrkosten zu. Dabei interessieren sich die meisten Kunden nicht für teure Zusatzdienste, sie wollen einfach nur fernsehen.
Lügen verunsichern Mieter
Deshalb macht sich inzwischen unter den Kabelbetreibern Angst vor der neuen Konkurrenz breit. "Die sind völlig aus dem Häuschen", hat MABB-Referent Bakarinov festgestellt. Besonders perfide ging bereits die Wohnungsbaugesellschaft Gehag zu Werke: Sie forderte ihre 20 000 Mieter in Berlin auf, neue Verträge mit der AKF-Telekabel TV und Datennetze abzuschließen. Das ist eine 100-prozentige Gehag-Tochter. Um die Mieter zu verunsichern, wurden sie sogar belogen. "Die vorhandene Antenne ermöglicht keine Übertragung digitaler Programme", hieß es in dem Schreiben fälschlicherweise. Und mit der angeblich erforderlichen Umrüstung sollte gleichzeitig eine Mieterhöhung einhergehen.
Solche Methoden dürften DVB-T eher noch fördern, glaubt Bakarinov: "Das macht erst recht Öffentlichkeit." Zudem werden die Preise für die Decoder bald sinken. Außerdem ist absehbar, dass die neuen Fernsehgeräte bereits ab Werk für den digitalen Empfang gerüstet sind. Decoder werden überflüssig. Dann brauchen die Kabelbetreiber gute Argumente, um ihre Kunden bei der Stange zu halten.
Berlin ist erst der Anfang: Wenn der Umstieg in der Hauptstadt geschafft ist, kommen die anderen Ballungsräume an die Reihe. Spätestens 2010 soll DVB-T flächendeckend verfügbar sein.
(c) DIE ZEIT 43/2002