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Die Verteilung der Beute im globalen Mediendorf 02.08.2002

Als Gunter Thielen, der neue Alte bei Bertelsmann, dieser Tage das Ende der Revolution auch offiziell bekannt gab, erhielten die Mitarbeiter von Random House in New York, in Amerikas größtem, erst vor gut zwei Jahren von Bertelsmann erworbenem Verlag, eine in ihrer Klarheit verblüffende Direktive darüber, wie es nun weiter gehen soll: "In this time of transition, I believe we can best show our support for our parent company's new leadership by continuing to focus on publishing our books as well as ever."

Mehrere Details sind besonders bemerkenswert an diesem Rundschreiben von Random House Boss Peter Olsen. Ohne dass ein einzelnes Wort martialisch klingt, spricht Olsen wie ein General an seine Truppen und fordert sie auf, die Ränge zu schließen. Er schwört sie ein, der neuen Führung loyal zu dienen, so als gelte es, bereits morgen in einen neuen Kampf zu ziehen, der jedem Einzelnen noch einiges abfordern wird. Das beste Mittel dazu aber sei es, so wie in alten Zeiten gute Bücher zu publizieren. Allerdings, gleich einer Überschrift steht über dem ganzen seltsamerweise das Wort "Transition", also Übergang und Veränderung.

Es ist eine bizarre Rolle vorwärts gehechtet zurück, die da aller Orten, und beileibe nicht nur bei Bertelsmann, vorgeturnt wird. Hieß es noch bis vor kurzem, das Internet verändere alles, soll nun die Revolution damit zum Abschluss gebracht werden, dass man sich jeweils auf das "Kerngeschäft" besinnt (nach dem Motto: Schuster bleib bei deinem Leisten), indem vieles wieder verkauft und abgestoßen wird, was eben erst zu großen Konglomeraten aufgehäuft worden war, und die lustvollen Strategen von den Produktionsleitern und Kontrollingenieuren auf Befehl der im Hintergrund agierenden Eigentümer - ganz wie im guten alten Kapitalismus - in die Wüste geschickt werden.

Allerdings, zwischendurch hat sich tatsächlich alles verändert, und keiner, ob alt oder neu, behauptet, man könne oder wolle dieses mächtige Rad wieder zurückdrehen.

Die frechen, nun abgelösten Strategen, ob Thomas Middelhoff bei Bertelsmann, Jean-Marie Messier bei Vivendi Universal oder Steve Case bei AOL Time Warner (der zwar nicht rausgeschmissen wurde, aber nur mehr als "Berater" seiner Firma agiert), leitete eine gigantische Machbarkeitsphantasie. Aus Buchverlagen, Musiklabels, elektronischen Postsystemen und expansiven Kaskaden der Verwertung von bewegten Bildern - vom Kino über weltweite TV Verbünde bis zum Couch Potatoe Altar zu Hause - sollten "integrierte" Medienhäuser werden, die alle kulturellen Inhalte und Regungen in einem geölten großen Räderwerk vereinen, mit einem machtvollen Maschinenführer obendrauf.

Interessanterweise nutzten sie dazu mit dem Internet eine Technologie, die ausgerechnet auf dem Gegenteil von Zentralisierung beruhte. Das Internet war bekanntlich entwickelt worden, um Informationsflüsse dezentral zu organisieren, damit Kommunikation selbst im Krisenfall eines atomaren Krieges weiterhin funktioniert. Freilich, dieses dezentrale Netz sollte die hoch zentralisierte Befehlskette der militärischen Auftraggeber garantieren.

Nun werden die Vorreiter der medialen Revolution von den alten Medieneliten entmachtet, denn sie haben ihren Teil getan. Sie haben die neuen Werkzeuge ausprobiert, haben viele Tabus gebrochen und bestehende Grenzen niedergerannt, sie haben die unvermeidlichen Fehler begangen und Schuld(en) aufgehäuft, so dass es genügend handfeste Gründe gibt, sie nun in die Wüste zu schicken. Oder, wie es ein Analyst der Gartner Group trocken formuliert: "We're clearly in shakeout mode."

Es ist jedoch keine Zeit für Krokodilstränen. Stattdessen werden nun wohl die neu eroberten Territorien und die Beute verteilt. Das mag angesichts der Schuldenberge und der miesen Konjunktur insgesamt als eine wenig plausible Diagnose gelten, aber ich denke, sie hält.

An der ambitionierten Strategie der integrierten Medienkonzerne haben zumindest zwei Dinge nicht funktioniert. Wir Konsumenten konnten und wollten nicht mehr essen, als auf unserem ohnehin schon randvollen Teller Platz hat, und vor allem kommt selbst der heißeste Appetit zum Erliegen, wenn unablässig neue Nahrung auf den Teller geschaufelt wird. Die immer gleichen Inhalte, Marken und Moden per Fernsehen, Walkman, Computer, nun auch noch am multimedialen Handy und wer weiß noch wo sonst zu verfolgen, ermüdet und zwingt den willigsten Medianauten zur Kapitulation.

Vor allem aber entstand wohl auch ein paradoxes Verteilungsproblem, das wiederum mit dem Konflikt zwischen Zentralisierung und Individualisierung in einem engen Zusammenhang steht. Die zunehmend globale Verteilung von "Content" auf immer mehr Kanälen kollidiert mit den zunehmend fragmentierten Wünschen des werten Publikums.

Gewiss, überall zogen Reality TV und nun die Millionenshow erfolgreich in die Programme ein, doch der Reiz wirkt erst wirklich stark, wenn möglichst meine Nachbarn im Container zu bestaunen sind - so wie man das Treiben der Nachbarn eben über den Gartenzaun belugt - und wenn der Mensch am Fragestuhl zumindest mein Bekannter sein könnte. Oder, noch ein Beispiel unter vielen, ausgerechnet im Zeitalter der globalen Hit-Industrie wächst der Anteil an lokaler Musikproduktion und florieren der Musikantenstadl und das Heimatlied.

Die mediale Welt ist ein Dorf, das ist mehr als nur eine Metapher. Die Medienkonzerne aber sind zur Zeit noch Industrien, schwerfällig und anonym. Die Technologie von Internet und Digitalisierung hat das Zeug zur Verdörflichung ja grundsätzlich eingebaut. Der ausstehende, nächste Schritt ist nun dessen Anwendung.

Das war auch tatsächlich schon in der Planung bei Middelhoff, Messier oder Steve Case. Middelhoff setzte auf Napster, um - am Ende natürlich nicht als Piraterie, sondern gegen Geld - den Fluss der Inhalte zwischen den einzelnen Konsumenten zu organisieren. Vielleicht waren auch allzu viele wichtige Einzelheiten noch allzu unklar und diffus, technologische, logistische wie auch kommerzielle. Das gilt ganz ähnlich für Messiers vorerst verlorene Wette um mobile Kommunikation, die die Leute individuell per Handy ins Netz hinein ziehen sollte. Steve Case hatte mit dem Abo-System von AOL sogar von Anfang an, vor mehr als zehn Jahren schon, auf diese Karte gesetzt.

Dem stand und steht allerdings, neben der Überforderung und Individualisierung der Konsumenten, noch eine weitere Kraft des Beharrens entgegen. Die Inhaber der Inhalte, eben die alten Medieneliten, machten sich ernsthafte Sorgen um den Bestandsschutz für ihr Eigentum. Nicht ganz zu Unrecht, wie Napster und der Musiktausch via Internet deutlich zeigen.

So nutzen die Verlage etwa gerne die Digitalisierung, um ihre Produktionskosten zu senken, aber an die Konsumenten, die Leser, geben sie die Bücher nur in ganz speziellen Fällen in der neuen digitalen Form weiter. Ganz ähnlich bei digitalisierten Filmen, wo immer neue Hürden aufgerichtet werden, nur um den digitalen Fluss einzudämmen. Darauf waren die Grenzenüberrenner nicht gefasst.

Wie bei jeder echten Revolution wissen gerade auch die erfolgreichen Kontra-Revolutionäre ganz genau, dass die Verränderung selbst nicht aufzuhalten ist. Das oberste Ziel ihrer Feldzüge ist vielmehr, die Aufteilung der neuen Gewinne unter den neuen alten Herren zu kontrollieren. Oder anders herum betrachtet: Das Zeitalter der neuen Medien hat vielleicht eben erst so richtig begonnen.

Rüdiger Wischenbart

Quelle: www.perlentaucher.de

 
  
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