Fernsehen per dsl
Das große Saugen
Die digitale Offensive: Wie eine illegale Tausch-Gemeinschaft von Internetsurfern das Fernsehen revolutioniert – oder es abschafft
Es gibt viele Bezeichnungen für einen wie Markus K. (Name geändert): Popkultur-Junkie, Early Adaptor, Heavy User, Super-Konsument. Letztlich bedeutet all das nur, dass er vorne dran sein will. Hollywood- Blockbuster sieht er als Sneak-Preview. CDs bestellt er bei Amazon, bevor sie erscheinen, und auch bei DVDs wartet er nicht, bis die deutsche Version auf dem Markt ist. Er braucht die amerikanische. Und zwar sofort.
Als der Spezialladen, der seine beste Quelle war, eines Tages von der Staatsanwaltschaft geräumt wurde, hätte er „tagelang kotzen“ können. Jetzt bestellt er über einen kanadischen Internetshop mit Lager in Holland – und vermeidet so Einfuhrzölle. Als TV-Zuschauer – Friends, Emergency Room, Sex and the City – war er bislang treu, aber unzufrieden: Schlechte Synchronisierungen, nervige Hausfrauen-Werbung, ewiges Warten auf die neue Staffel. Damit ist nun Schluss.
Markus K. ist einer verschworenen Gemeinschaft beigetreten, die gerade dabei
ist, das Fernsehen zu revolutionieren. Es in ein neues Medium zu überführen. Oder es abzuschaffen, das kommt auf den Standpunkt an. K. schaut seine Lieblingsserien, wann und wo er will. Da sie alle aus Amerika kommen, sieht er sie im Original. Völlig werbefrei. Und beinahe in Echtzeit: Wenn eine Folge von Friends am Abend in den USA läuft, kann er sie am nächsten Tag bei sich zuhause auf dem Bildschirm haben. Fast ohne Qualitätsverlust. Er zahlt dafür weder an die US-Produzenten, noch an eine TV-Anstalt. Als Werbezielgruppe für heimische Sender – die einen Pakt mit dem Teufel schließen würden, um einen jungen, kaufkräftigen Konsumenten wie Markus an sich zu binden – ist er auch verloren: Er braucht sie nicht mehr.
Das klingt gut. Zu gut, um legal zu sein. Ist es auch nicht. Es ist auch nicht ganz einfach – aber Markus liebt technische Herausforderungen. Mehrere Faktoren mussten zusammenkommen, um sein neues Hobby zu ermöglichen. Da war zunächst die Einführung der schnellen Internet-DSL-Anschlüsse, kombiniert mit einer so genannten Flatrate. Weil es sie gibt, kann Markus rund um die Uhr am Netz hängen und bezahlt trotzdem nur etwa 25 Euro im Monat. So kann er riesige Datenmengen aus dem Internet herunterladen – er nennt es „saugen“ – ohne dafür gesondert zu bezahlen. Die Flatrate, findet er, sei ein „Geschenk des Himmels“.
Der zweite Faktor ist die Verbreitung der so genannten Settop-Boxen in Amerika. Das sind, einfach ausgedrückt, digitale Videorecorder, die Sendungen nicht auf Band, sondern auf einer Festplatte speichern. Zeichnet ein Amerikaner damit die neue Friends-Folge auf, hat er anschließend eine ziemlich große Videodatei. Drückt er dann auf einen Knopf, wird alle Werbung automatisch gelöscht – oder so ähnlich. Wichtig ist nur: Sehr viele Amerikaner haben populäre Sendungen, ganz ohne Werbung, in sehr guter Qualität, zuhause auf ihren Festplatten. Da liegen sie nun und sind ein Sprengstoff, der den Medienkonzernen noch um die Ohren fliegen wird. Denn jetzt kommt der dritte Faktor ins Spiel: Ein teuflisch smartes, kostenloses Computerprogramm namens Kazaa – derzeit die weltweit am häufigsten heruntergeladene Software.
Allein www.download.com, eine zentrale Website für kostenlose Programme, verzeichnet bisher 119 Millionen User. Das heißt: Die neue Gemeinschaft, der Markus K. angehört, hat mindestens 119 Millionen Mitglieder, vermutlich mehr.
Kazaa macht’s möglich
Und was macht die Gemeinschaft? Sie verbindet, vereinfacht gesagt, ihre Festplatten. Wenn Markus sich nun bei Kazaa einloggt und nach Friends sucht, wird seine Festplatte direkt mit der irgendeines amerikanischen Kazaa-Kollegen verbunden, der sie aufgezeichnet hat – kein Richter der Welt kann dieses Privatvergnügen unterbinden. So beginnt Markus, die neue Folge zu saugen: Sie wandert, zerlegt in Million Bits, digital durchs Netz. Es sind bis zu 500 Megabyte, und es kann eine Nacht dauern, was Markus aber egal ist: Er ist immer online.
Sehr bald schon musste sich Markus eine Zusatz-Festplatte kaufen. Er nahm die Größte, die zu haben war: 160 Gigabyte. Zwei komplette Friends-Staffeln sind schon darauf, von der letzten Emergency Room- Saison fehlt ihm nur noch eine Folge. Bis zu 400 Stunden Fernsehen, schätzt er, passen darauf. So kann seine Freundin einen Tag nach der Ausstrahlung in den USA die neueste Folge von Sex and the City zeigen. Und es ist keineswegs so, dass sich beide vor den Computerbildschirm drängen müssten. Sie sitzen vor Markus’ Riesenkiste auf dem Sofa, mit Chips und Bier und allem drum und dran.
Sein Computer hat nämlich, aber er findet das nun wirklich banal, eine so genannte Videokarte: Damit kann er sein Computerbild auf den Fernsehschirm übertragen. Schon klar, die Qualität könnte noch besser sein – im Moment sieht das Bild ungefähr so aus, als käme es von einem Videorekorder. Aber auch das wird sich ändern, immer mehr Dateien aus dem Netz haben bereits DVD-Qualität, besonders aktuelle Kinofilme. Die saugt Markus natürlich auch.
Als Videogerät ist sein Computer erstaunlich smart: Er spielt Filme in allen Formaten, in jeder beliebigen Größe und Auflösung, auch für HDTV wäre er sofort bereit. DVD-Player, Videorecorder, Decoder, Satellitenreceiver, „das ganze Geraffel“, sagt Markus, „wird es bald nicht mehr geben.“ Ein Computer und ein großer Bildschirm – das sei alles, was man in Zukunft brauchen werde.
Über die Folgen seines Tuns macht er sich wenig Gedanken. Daher interessiert es ihn auch nicht, dass er gerade Teil einer Revolution ist, die Medienpropheten seit langem vorhersagen. „Um die Zukunft des Fernsehens zu verstehen“, schrieb Nicholas Negroponte, der Gründer des Medialab am Massachusetts Institute of Technology, schon im Jahr 1995, „dürfen wir Fernsehen nicht mehr als Fernsehen begreifen. Am Besten betrachten wir es als einen Strom von Bits“. Die Folgen dieser Verwandlung beschreibt er in seinem Buch Being Digital: Fernsehen wird unabhängig von Sendezeiten; Fernsehen wird beliebig editierbar; Fernsehen wird in einer Fülle neuer Bildformate stattfinden, und das einzige Gerät, dass sie alle verstehen kann, ist der Computer. „Denken wir uns Fernsehen als ein Medium, auf das wir beliebig zugreifen können, (...) das Stunden von Programm innerhalb von Minuten empfangen kann, das unabhängig von der Zeit funktioniert.“
Die Geschwindigkeit, mit der Menschen wie Markus auf diese Zukunft zusteuern, ist enorm. Und sie tun es wieder einmal, wie schon im Fall Napster, an allen Copyright-Gesetzen, Lizenzvereinbarungen und Businessplänen vorbei. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Geld zu sparen, wie Markus DVD- Rechnungen zeigen, sondern darum, sich den Fortschritt ins Wohnzimmer zu holen – und um behäbige Medienkonglomerate, die viel zu träge sind, um auf diesen Bedarf zu reagieren. Nur die amerikanische Produktionsindustrie hat bisher die Gefahr begriffen. Kongressabgeordnete wie Billy Tauzin und John D. Dingell fordern seit Juli neue Gesetze, die Computerproduzenten dazu zwingen sollen, ihre Hardware so zu verändern, dass der Tausch und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Filmdateien nicht mehr möglich ist. Diese werden sich dagegen wehren, so lange es geht – denn natürlich hoffen sie, durch die Flexibilität ihrer Maschinen alle „dümmeren“ Geräte – Fernseher, Videorecorder, Decoder – in absehbarer Zeit zu verdrängen. Markus K. funktioniert dabei wie ein Agent: Von einem Industriezweig unterstützt, um einen anderen zu vernichten.
Der Tod des Werbeblocks
Das erste Opfer steht bereits fest: das werbefinanzierte Fernsehen. Dass Leute wie Markus nicht mehr einschalten, mag an den Quoten noch nicht ernsthaft erkennbar sein. Aber die illegale Tauschgemeinschaft, der er angehört, wächst derzeit mit einer Rate von 2,6 Millionen Mitgliedern. Pro Woche. Natürlich sind das nicht die Rentner oder die GZSZ-Jünger – sondern die wertvollste Zielgruppe.
Es ist keinesfalls sicher, ob es auf dieses Problem eine Antwort gibt: Sobald das Fernsehen nicht mehr als Echtzeit-Medium funktioniert, das seine Zuschauer zu festgelegten Zeiten an den Bildschirm fesselt, ist das Prinzip „Werbeblock“ tot. Noch weiß niemand, was stattdessen funktionieren wird: Abofernsehen, Video-on- Demand, ständige Werbeeinblendungen. Aber eines steht fest, solange es Markus K. nicht exakt das bietet, was er haben will, wird es überhaupt nicht funktionieren.
TOBIAS KNIEBE
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