hrtv, 19.07.02, 16:55

Pilotprojekt startet „Digitales terrestrisches Fernsehen“ in Berlin


Zimmerantenne empfängt 22 Programme

Von SUSANNE HERR

Satellitenschüssel und Kabel haben den Antennenbaum auf dem Dach weitgehend verdrängt. Mit der Digitalisierung der Fernsehübertragung könnte sich das ändern. Mit der neuen Technik können die Programme sogar über die Zimmerantenne in hoher Qualität empfangen werden.

DÜSSELDORF. Fernsehzuschauer sollen bald bis zu 30 Programme über die normale Haus- oder Zimmerantenne empfangen können – und das mit bester Qualität. Möglich wird das digitale TV – so genanntes Digital Video Broadcast-Terrestrial (DVB-T). Vier Programme pro Kanal können mit dieser Technik übertragen werden. Seit Anfang Juli läuft in Berlin der Testbetrieb für die neue Fernsehtechnik.

Die Berliner können schon heute zwischen 22 Sendern auswählen – über die Dachantenne empfangen sie gerade einmal zwölf Programme. Ab Herbst werden dann auch die Programme von RTL, RTL 2, Sat.1 und Pro Sieben in Berlin flächendeckend digital ausgestrahlt. Die Öffentlich-Rechtlichen und weitere Sender folgen Anfang 2003.

In England ist der Versuch, terrestrisches Digitalfernsehen landesweit einzuführen, gescheitert. Schlechte Empfangsqualität, die falschen Inhalte und ein erfolgloses Pay-TV-Modell brachen dem Sender ITV Digital das Genick. Das soll in Deutschland nicht passieren. Daher bemühen sich Sender, Übertragungstechniker und Decoder-Hersteller, in Feldversuchen Schwachpunkte der neuen Übertragungstechnik zu erkennen und zu beseitigen. Hier ist das gemeinsame Pilotprojekt der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), der Deutschen Telekom und der Gesellschaft zur Förderung der Rundfunkversorgung am weitesten fortgeschritten. „Spätestens im Sommer 2003 werden alle analogen Frequenzen abgeschaltet. Dann startet zum ersten Mal in Deutschland der digitale terrestrische Sendebetrieb mit voller Leistung“, nennt Hans Hege, Direktor der MABB, den Zeitplan.

Rund 150 000 Haushalte in Berlin, die heute noch Fernsehen über Haus- oder Zimmerantenne empfangen, müssen sich bis dahin mit digitalen terrestrischen Decodern versorgen. Entsprechende Geräte stellen immer mehr Hersteller zur Verfügung. Seit Anfang Juni verkauft beispielsweise Nokia seinen ersten Decoder für terrestrischen Empfang auf dem deutschen Markt. Samsung will mit dem Verkauf seiner DVB-T Decoder ebenfalls in diesem Monat beginnen.

Neben der Programmvielfalt werden sich auch Bild- und Tonqualität verbessern. Durch spezielle Modulationsverfahren werden Störungen herausgefiltert, die bislang mit analogem terrestrischem Fernsehen in Kauf genommen werden müssen. „Die analoge Übertragung verschlechtert sich, sobald die Antenne nicht exakt ausgerichtet ist“, erklärt Volker Meifort, Projektmanager bei Nokia. Die digitale Übertragung liefere dagegen stets Bilder in DVD- und Ton in CD-Qualität. „Mit DVB-T kann man das Antennenkabel kappen“, ergänzt Manfred Kühn von T-Systems. Störungsfreier Empfang sei auch im Freien und mobil möglich, zum Beispiel im Auto. Bei den tragbaren Fernsehgeräten bietet die Stabantenne einen guten Empfang.

Das ZDF bietet in dem Pilotprojekt in Berlin neben Fernsehen auch den digitalen Datendienst „Digitext“an, der später den analogen „Teletext“-Dienst ersetzen soll. „In Berlin herrschen optimale Voraussetzungen für das neue Digitalfernsehen, weil viele Frequenzen zur Verfügung stehen und mit wenigen Sendern eine große Zahl von Fernsehzuschauern erreicht werden kann“, erläutert Alexander Schrott, technischer Berater beim ZDF die geplante Weiterentwicklung von DVB-T. In allen anderen Bundesländern sollen zunächst ebenfalls nur die Ballungsgebiete mit der neuen Technik versorgt werden. Erst nach einem Erfolg dieser Inseln werde die flächendeckende Versorgung ausgebaut.

Bis die Ausstrahlung von analogem Fernsehen endgültig eingestellt wird, dauert es noch. Erst im Jahr 2010 soll das digitale Fernsehen die analoge Technik bundesweit ersetzen. Bis dahin wird sich zeigen, ob sich DVB-T als wirtschaftliche Alternative zum Fernsehempfang über Satellitenschüssel und Kabel etablieren kann.

Quelle: Handelsblatt

HANDELSBLATT, Dienstag, 09. Juli 2002, 19:02 Uhr

 
  
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